Liebe Leserinnen und Leser,
„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“ – mit diesem Grundrecht beginnt der erste Artikel unseres Grundgesetzes. Ursprünglich eigentlich nur als Übergangslösung bis zur Wiedervereinigung gedacht, ist es heute die maßgebliche Verfassung unserer Bundesrepublik. Am 23. Mai 1949 trat es mit der Verkündigung durch den Parlamentarischen Rat in Bonn offiziell in Kraft.
Vorausgegangen waren langwierige Verhandlungen, nachdem die USA, Großbritannien, Frankreich und die drei Benelux-Staaten 1948 beschlossen hatten, Deutschland nach dem Krieg schrittweise Regierungsverantwortung zu übertragen. Die Ministerpräsidenten der elf Bundesländer sollten mit Billigung der Alliierten eine demokratische Verfassung für die westlichen Besatzungszonen ausarbeiten. Dies geschah in Form eines Parlamentarischen Rates, den 61 „Vätern“ sowie vier „Müttern“ des heutigen Grundgesetzes.
Ob Grundrechte wie Gleichberechtigung und Meinungsfreiheit oder zentrale Staatsprinzipien wie Demokratie und Rechtsprechung: Heute umfasst das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland 146 Artikel und steht über jeglichen anderen Rechtsnormen. Herzstück bilden die Grundrechte, allen voran eingangs erwähnter Artikel 1 zur Menschenwürde. Diese kommt jedem Kraft seiner Existenz zu, ist völlig unabhängig von Geschlecht, Alter oder Herkunft und unabänderlich. Die Menschenwürde ist nicht nur wichtigstes Grundrecht, sondern auch Basis für alle weiteren Menschenrechte.
Wir haben das Glück, in einer Staatsform zu leben, die Menschenrechte achtet: Demokratie garantiert uns Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Beteiligung an politischen Prozessen. Dabei braucht sie aber immer Menschen, die sich aktiv für sie einsetzen und Verantwortung übernehmen. Allzu oft ist Demokratie von Gleichgültigkeit bedroht. Wenngleich als hohes Gut in unserem Grundgesetz verankert, gehen viele gedankenlos damit um. Sichtbar wird dies etwa an einem zentralen Element: Der Teilnahme oder vielmehr fehlenden Teilnahme an Wahlen.
Gerade die aktuellen Entwicklungen zeigen, dass Demokratie immer wieder aufs Neue verteidigt werden muss. Sie zeigen aber auch, dass in unserer Gesellschaft ein waches Bewusstsein für ihren Wert existiert, betrachtet man etwa die zahlreichen Menschen, die derzeit gegen Hass auf die Straße gehen.
Menschenrechte sollten für alle selbstverständlich sein, aber nicht nur die Geschichte zeugt leider von einem anderen Bild: Politischer Extremismus, Diskriminierung oder Ausbeutung von Personen und Natur – auch heute werden weltweit Menschenrechte verletzt. Es liegt an uns, für sie einzustehen, denn jeder Einzelne liefert einen maßgeblichen Beitrag. Das beginnt bereits, indem den Kleinsten Werte wie Respekt und Gewaltfreiheit vorgelebt werden und spiegelt sich in sozialem Engagement ebenso wider; das setzt aber auch einen offenen Austausch voraus, der zulässt, dass die eigene Meinung immer wieder auf Basis von Informationen hinterfragt wird.
Am 23. Mai begehen wir also nicht nur das 75-jährige Jubiläum unseres Grundgesetzes. Wir feiern vielmehr, was die Verfassung der Bundesrepublik für uns alle garantiert: Ein menschenwürdiges Leben in Freiheit, Sicherheit und Vielfalt.
Herzlichst
Ihr
Stephan Antwerpen
Erster Bürgermeister