Nahaufnahme einer Pflasterstraße

Lena-Christ-Straße

Lena-Christ-Straße

von Manfred Lecher, Stadtheimatpfleger

 

Die Lena-Christ-Straße verbindet die Trostberger Straße mit der Kiem-Pauli-Straße in Altötting-Süd. Die bayerische Heimatschriftstellerin Lena Christ, oft als weibliches Pendant zu Ludwig Thoma bezeichnet, erblickt am 30. Oktober 1881 im oberbayerischen Glonn als uneheliches Kind der Köchin Magdalena Pichler und des Geschäftsreisenden Carl Christ das Licht der Welt. Später nimmt sie den Namen ihres leiblichen Vaters an. Die ersten fünf Lebensjahre verbringt das Mädchen bei den Großeltern auf dem Lande, die es als ihre glücklichsten Jahre bezeichnet.

Die Mutter holt das Kind nach ihrer Heirat mit einem Gastwirt zu sich nach München. Dort erlebt die „Wirtsleni“ die Hölle auf Erden (Demütigungen, Misshandlungen und Schwerarbeit) und wird für ihr ganzes Leben traumatisiert. Um dem Elend zu entfliehen, heiratet sie mit 20 Jahren den Buchhalter Anton Leix. Die Mutter „wünscht“ ihr zur Hochzeit: „Du sollst keine glückliche Stund haben und jede gute Stund sollst mit zehn bitteren büßen müssn“. Die Ehe wird eine einzige Katastrophe: Der Mann säuft, wird gewalttätig und landet schließlich in einer Irrenanstalt.

Um Geld zu verdienen, nimmt Lena Schreibarbeiten an und lernt so den Schriftsteller Peter Jerusalem kennen, den sie 1912 heiratet. Dieser bringt sie auf die Idee, ihre persönlichen Erlebnisse aufzuschreiben. Im selben Jahr erscheint die Autobiographie „Erinnerungen einer Überflüssigen“ (1912). Darin schildert sie die Zerwürfnisse mit ihrer Mutter sowie die menschlichen und sexuellen Tragödien ihrer Ehe. Weitere Romane und Erzählungen folgen: „Lausdirndlgeschichten“ (1913), „Mathias Bichler“ (1914), „Unsere Bayern anno 14“ (1915) und „Rumplhanni“ (1916).

1917 wird Peter Jerusalem als Soldat nach Landshut versetzt, wohin ihm Lena folgt. Als er aber 1918 an die Front gerufen wird, beginnt sie aus Einsamkeit eine aussichtslose Affäre mit einem jungen Sänger, weswegen ihr Ehemann sie gegen Kriegsende verlässt. Finanziell ruiniert und unter ständiger Geldnot leidend, fälscht Lena Christ wertlose Bilder aus ihrem Besitz mit der Signatur berühmter Maler. Der Betrug fliegt auf und Lena wird angeklagt.

In dieser ausweglosen Situation fährt sie am 30. Juni 1920 mit der Straßenbahn zum Münchner Waldfriedhof. Dort trifft sie sich mit ihrem Ex-Ehemann Peter Jerusalem, der sie von ihrem geplanten Suizid nicht abbringen kann und ihr als letzten Liebesdienst auf ihren Wunsch hin eine Dosis Zyankali bringt. Die 38jährige legt sich auf ein Grab, nimmt das Gift und stirbt.

Die Heimatforscherin Maria Sedlmaier schreibt über Lena Christ: „Ihre Bücher sind voller Vaterlandsliebe, den Stoff entnahm sie aus ihrer Heimat, sie war eine überaus volkstümliche Schriftstellerin, verstand es meisterhaft zu fabulieren, kurz im Dialog, packend, spannend, voll Humor und Witz, jedoch zuweilen etwas derb.“

Weitgehend unbekannt ist Lena Christs ausführliche Schilderung einer Wallfahrt nach Altötting im Jahre 1896. In ihrem autobiographischen Roman „Erinnerungen einer Überflüssigen“ berichtet das 15jährige „brave Pilgermädchen und Marienkind“ von seinen Erlebnissen. Ausgehend vom Münchner Ostbahnhof fährt der Sonderzug nach Mühldorf und von dort geht es zu Fuß nach Altötting, das damals noch keine Bahnstation besitzt. Schon die Vorbereitungen zur Wallfahrt (Bad, Beichte, weißes Kleid mit himmelblauem Schulterkräglein, weißblaues Haarkränzlein, Silberherz mit blauem Band an der Brust, langer Pilgerstab mit Silberkreuz usw.) schildern uns Wallfahrtsgepflogenheiten von anno dazumal.

„Von Mühldorf aus gingen wir nach einem einfachen Frühstück zu Fuß nach dem Gnadenort, den wir gegen Mittag erreichten. Empfangen von dem Geläute sämtlicher Glocken, dem Jubel der Bewohner, der Geistlichkeit, des ansässigen Ordens und einer Musikkapelle, betraten  wir den geweihten Ort und begrüßten die Gnadenvolle, ein jeder nach Drang des Herzens oder Größe des Kummers, den er hier am Gnadenaltar niederlegen wollte. Meiner hatte sich eine fast überirdische Stimmung bemächtigt und ich fühlte mich so frei und aller Sorge ledig, dass ich nur ganz verklärt das alte, mit unsäglich vielen und köstlichen Kleinodien aller Zeiten geschmückte Gnadenbild anschauen konnte, während meine Lippen mechanisch murmelten: O Maria, hilf doch mir, es fleht ein armes Kind zu dir. Im Leben und im Sterben lass meine Seele nicht verderben“.

„Mit einigen Freundinnen besah ich mir dann den ganzen Ort, die Kirchen, das Kapuzinerkloster und den Markt für Wallfahrtsandenken und verwunderte mich über den üppigen Handel und die Gewinnsucht an dieser frommen Stätte. Den Tag beschloss noch eine schöne Feier mit Illumination der Kapelle, und nach einem einfachen Nachtmahl begaben wir uns in unsere Schlafkammern. Die Vermögenderen hatten sich ein Bett für sich allein gesichert; die Ärmeren aber mussten je zwei in einem Bett schlafen…“.

„Der neue Tag brachte wieder viel des Erbaulichen und Ernsten, doch wurde ich zuletzt müde von allem und war froh, als am Dienstag in der Früh das Schlussamt mit Generalkommunion am Gnadenaltar gefeiert wurde. Als aber hierbei am Chor plötzlich die kindlichen Stimmen von etwa zwanzig Knaben an mein Ohr tönten und sie das uralte Abschiedslied von der „schwarzen Muttergottes“ sangen, ward es mir schwer ums Herz und ich konnte mich kaum losreißen von dem Gnadenbilde. Ganz traurig schloss ich mich den andern an und brachte beim Singen kaum mehr einen Ton heraus.“

 

 

Quellen:        Stadtarchiv Altötting;

Foto: Bild Lena Christ, Fotostudio Veritas München, Münchner Stadtbibliothek / Monacensia, LC F 2;

Lena Christ: Erinnerungen einer Überflüssigen,

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