Nahaufnahme einer Pflasterstraße

Tassilostraße

Tassilostraße

von Manfred Lerch, Stadtheimatpfleger

Die Tassilostraße zweigt von der Raitenharter Straße nach Westen ab und erinnert an den letzten Herzog aus dem Geschlecht der Agilolfinger, Tassilo III. (*um 741; +796).

Tassilo war der Sohn Herzog Odilos und der fränkischen Prinzessin Hiltrud, Tochter von Karl Martell. Nach dem Tod seines Vaters (748) wurden Tassilo samt Mutter, Gesinde und Kronschatz von Grifo, Hiltruds jüngerem Halbbruder, der selbst bairischer Herzog werden wollte, als Geiseln entführt. Ein Jahr später verjagte der fränkische Hausmeier Pippin Grifo und setzte den damals siebenjährigen Tassilo als Herzog ein. Die Vormundschaft über den Knaben übernahm seine Mutter Hiltrud, nach deren Tod (754) sein Onkel Pippin. Ab 757 übte nunmehr Tassilo im jugendlichen Alter allein die Regierungsgeschäfte als Herzog in Baiern aus.

Herzog Tassilo Statue Kremsmünster

Im ersten Jahr seiner Regentschaft findet sich in der Schenkungsurkunde des Edlen Wilhelm an das Kloster Mondsee, datiert vom 10. Juli 748, die Ersterwähnung des Ortes (Alt-)Ötting als deren Ausstellungsort.

Erste urkundliche Erwähnung Altöttings durch Herzog Tassilo.

Der entsprechende lateinische Text im Traditionsbuch dieses Klosters, der im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv verwahrt wird, schließt mit den Worten: „Actum autingas uilla puplici sub die quod fecit mensis iulii dies X. anno I. tassilone duci…“. (Angefertigt auf dem Amtshof zu Autingas am 10. Tag des Monats Juli im ersten Jahr des Herzogs Tassilo…).

Dem Ortsnamen (autingas) liegt der Personenname „Auto“, „Ot(t)o“ oder „Odo“ zugrunde und könnte sich auf Tassilos Vater Odilo (735-748) beziehen. In den Jahren 770 und 777 hält sich der Agilolfinger-Herzog nachweislich noch zweimal auf dem Hofgut zu Ötting auf, wo er Urkunden ausstellte. In diesen wird unser Ort „Otingas“ bzw. „Otingon“ bezeichnet. Für seine Regierungsgeschäfte bevorzugte der Herzog das repräsentativste Gebäude, den herzoglichen Amtshof, die „villa publica“.

Bei den archäologischen Ausgrabungen auf dem südlichen Kapellplatz im Jahre 1984 stießen die Archäologen auf zahlreiche Pfostengruben, die sich zu Hausgrundrissen ergänzen ließen. Unter diesen konnte auch der Platz dieses mutmaßlichen Amtshofes in der Nähe des Marienbrunnens gefunden werden.

Öttings zentrale Lage inmitten des bairischen Stammesherzogtums an der Nord-Süd-Magistrale Regensburg – Salzburg – Aquileja – Ravenna, aber auch die ausgedehnten Wälder zum Jagen und fischreichen Gewässer an Inn, Alz und Salzach luden zur festlichen Hofhaltung geradezu ein. So entwickelte sich Ötting neben Regensburg zur zeitweiligen Residenz und zum Verwaltungszentrum für Versammlungen, Gerichtsverhandlungen und Beurkundungen.

Herzogliches Hofgut (Alt-)Ötting, Grundrisse von Pfostenbauten und vom ältesten profanen Steingebäude. Zeichnung Landesamt für Denkmalpflege München

Herzog Tassilo III., ein eifriger Förderer christlichen Glaubens, gründete zahlreiche Klöster (Wessobrunn, Gars, Mattsee, Münchsmünster, Frauenchiemsee, Kremsmünster usw.).

Mit der Einladung zu Synoden in Aschheim, Dingolfing und Neuching betrieb er eine aktive Kirchenpolitik, wenn auch nicht ganz uneigennützig in Sorge um sein eigenes Seelenheil.

Eine Herzensangelegenheit war ihm die Stiftung des Klosters Kremsmünster. Im Jahre 769 heiratete Tassilo die Tochter des letzten Langobardenkönigs Desiderius, Liutpirc.

Das frisch vermählte Brautpaar schenkte dem Lieblingskloster ihren Hochzeitskelch, den sog. Tassilokelch, ein Meisterstück der Goldschmiedekunst, das heute noch zu den bedeutendsten Kunstwerken der Welt zählt. Der Kelchfuß trägt folgende Inschrift: + TASSILO DUX FORTIS + LIUTPIRC VIRGA REGALIS +. (+ Tassilo, tapferer Herzog + Liutpirc, königlicher Spross +).

Tassilokelch

Herzog Tassilo III. regierte mit einer territorialen, fast königsgleichen Machtfülle, wie vor ihm kein anderer Agilolfinger. Doch die Bündnisse mit den Awaren und Langobarden stürzten Tassilo in einen schicksalhaften Konflikt mit dem Frankenkönig Karl den Großen.

Im Jahre 788 wurde Tassilo von seinem königlichen Vetter auf einer Reichsversammlung in Ingelheim widerstandslos verhaftet und in einem Schauprozess wegen Treuebruchs, Fahnenflucht, Hochverrats und Verschwörung angeklagt, abgesetzt, zum Tode verurteilt, letztlich aber zu lebenslanger Klosterhaft begnadigt. In St. Goar am Rhein erhielt er die Mönchstonsur, später kam er nach Jumiéges und dann nach Lorsch. Ein ähnliches Schicksal widerfuhr seiner Gemahlin mit ihren vier Kindern. So fand die Selbständigkeit des bairischen Herzogtums ein jähes Ende. Dessen Verwaltung übernahm ein vom Frankenkönig Karl eingesetzter Präfekt.

Herzog Tassilo III. starb vermutlich am 11. Dezember 796 und wurde in einem Steinsarkophag im Kloster Lorsch bestattet, der seit der Zerstörung der Klosterkirche verschollen ist. Die überlieferte Inschrift schildert in prägnanter Kürze seinen Werdegang: „TASSILO DUX PRIMUM, POST REX, MONACHUS … (Tassilo zuerst Herzog, dann König, zuletzt Mönch…).

Tassilos größter Verdienst ist darin begründet, dass unter seiner Führung die verschiedenen Stämme der Bajuwaren zu einem homogenen bayerischen Volk zusammengewachsen sind.

Heute tragen Apotheken, Schulen, Hotels, Bäume, Plätze und Straßen Tassilos Namen. Ein Zeichen, dass die bayerische Heimat Herzog Tassilo nicht vergessen hat.

 

 

Quellen:
Josef Pfennigmann, Studien zur Geschichte Altötting im Früh- und Hochmittelalter, Altötting 1952
Peter Moser, Altötting   Mythos – Geschichte – Wahrheit, München 2004, Heimatbuch Altötting, Altötting 2000
Wikimedia Commons, Walter Isack
Öttinger Land, 2007, Band 27